Rezension: Francis Seecks „Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive“

Ein Gastbeitrag von Jana Asmus

„Wer soll benachrichtigt werden?“, „Unter welchem Namen/Gender möchte ich z.B. auf dem Grabstein erinnert werden?“ – diese Fragen schlägt das alternative Bestattungsinstitut „ Thanatos“ vor, um sich selbstbestimmt mit der eigenen Bestattung auseinanderzusetzen. Die Themen Tod und Bestattung werden sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in linken Kreisen noch oft tabuisiert. Vor einem guten Jahr sind Thanatos und ich Gäste der ersten Lesung zu Francis Seecks Intervention „Recht auf Trauer“.

In neun übersichtlichen Kapiteln stellt Seeck Bestattungspraxen vor, die vor allem einkommensschwache oder obdachlose Menschen und ihre Angehörigen in Deutschland betreffen.

Schnell wird klar, dass Klassenunterschiede nach dem Tod nicht aufhören. Finden sich keine Angehörigen, die für die Bestattung aufkommen können, greift der Staat ein. Behörden haben wenig Zeit, um Angehörige überhaupt ausfindig zu machen. Angehörig ist, wer als biologisch verwandt gilt, ohne die selbstgewählten Familienverhältnisse der verstorbenen Person zu berücksichtigen. Die daraus resultierenden Vorgehensweisen sind anonyme Bestattungen in Abwesenheit von Bezugspersonen, samt Entsorgung des Hab und Guts.

Coveransicht

Meine anfängliche Wut, die das Lesen der ersten vier Kapitel auslöst, schlägt mit dem Lesen der folgenden Seite in Antrieb um. Ich besorge mir meinen zweiten Organspendeausweis, denke über meine eigenen gegenwärtlichen Wünsche in bezug zu meiner Beerdigung nach und beantworte die Fragen des Bestattungsinstituts Thanatos.

In der zweiten Hälfte widmet sich Seeck aktivistischen Gegenentwürfen zur anonymen Bestattung und Trauer. Das „Grab mit vielen Namen“ würdigt arme Menschen in einem Gemeinschaftsgrab und finanziert sich durch Spenden. Der dazugehörige Grabstein gedenkt der Menschen namentlich und ermöglicht so die Erinnerung an jene.

Beeindruckend an Francis Seecks Buch ist nicht nur die Wegbereitung für weitere Diskussionen, sondern zusätzlich die engagierte Forschung. Seeck zeigt auf, wie eng persönliche Betroffenheit und queere Forschung miteinander verwoben sind und sie dadurch unverzichtbar bleibt, um Machtverhältnisse rund um das Thema Trauer sichtbar zu machen. Mittlerweile ist das Buch in zahlreichen Bibliotheken erhältlich. In Berlin kann es beipielsweise in der Amerikanischen Gedenkbibliothek ausgeliehen werden. Aktuelle Lesungen und Workshops von und mit Francis Seeck findet ihr hier.

Über die Autorin: Jana Asmus hat diesen Sommer ihre Vorliebe für Pistazieneis und Comedy entdeckt. Sie ist Kulturwissenschaftlerin in Berlin. Zur Zeit beschäftigt sie sich mit Lücken der weißen deutschen Frauenbewegung.

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