Rasieren zum Selbstschutz – Kontrolle über die weiblichen Körper

Sommer verbinden die meisten mit Sonne, Spaß und Schwimmen. Seit meiner Pubertät verbinde ich „Sommer“ eher mit anderen S-Wörtern: Stress oder Scham.

Wir wachsen auf in einer Welt, in der Frauen nur auf dem Kopf – und dort auch nur an genau definierten und perfekt geformten Stellen, dafür aber äußert voluminöses – Haare haben dürfen bzw. sollten. Soweit, so klar – und unrealistisch. Dennoch wird der Sommer schnell zur Tortur, muss man sich jeden Tag, der doch sehr zeit- und (im Teenageralter mit Tachengeldeinkommen auch durchaus) kostenintensiven Mater der Rasur aussetzen. Ja, natürlich – man MUSS nicht, schon klar. Aber ich kenne kein Mädchen im Schulalter, die sich mit behaarten Beinen und kurzer Beinbekleidung unter ihre Altersgenoss*innen gewagt hätte. Scheiße fand ich das schon immer, aber die Angst vor dem Spott und dem Ausgeschlossenwerden siegt dann doch über jeglichen aufkeimenden Trotz. Das heißt also: entweder leiden oder immer lange Hosen tragen – was bei Hitze ebenso Leid verursacht. Ich habe mich früher für eine Zwischenform entschieden: Da ich den Rasierer und Rasierschaum nicht zu oft von meinem Vater mopsen wollte, machte ich es nur am Abend vor dem Sportunterricht. Geld für eigenes Zeug hatte ich nämlich nicht. Der kapitalistische Aspekt ist dabei Ursache und Wirkung zu gleich, dazu später aber mehr.

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Nun ist Frau älter geworden und geht nicht mehr zur Schule. Dennoch hat sich dieser Konflikt zwischen mir und dem Sommer nicht ganz gelöst. Ich bin Feministin und kämpfe für ein positives Selbstbild von Frauen in realistischer Vielfalt. Es gibt Tage da fühle ich mich stark und sicher, und da ist es mir egal ob ich mit Dreitagebart an den Beinen und Shorts auf die Straße gehe – sollen die Leute doch schauen, oder eben nicht. Aber verdammt nochmal: niemand ist immer stark, und ja, Blicke und Kommentare zu ertragen ist nicht leicht, wenn man kein dickes Fell hat *hüstel*. So rasiert Frau oft weiter, zum Selbstschutz quasi. Es ist der stetige Kampf gegen die Mangelhaftigkeit, die uns immer wieder vor Augen geführt wird. Oder hat jemand schon mal auf Werbeplakaten oder in Filmen behaarte Frauenbeine gesehen?

Ist aber ein triviales Problem oder? Nö, finde ich nicht, denn man kann ja mal überlegen, was dahintersteht:

1. Wer verdient daran?

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Wie ich bereits erwähnt habe, kostet der ganze Spaß (oder besser die Tortur) etwas. Frauenrasierer kosten meist mehr als das selbe Produkt für Männer, obwohl sie oft genau das gleiche sind. Ebenso das ganze Pflegezeug drum herum (z.B. 97% mehr für „Frauen“-Rasierschaum laut Verbraucherschutz). „Pink Tax“ (pinke Steuern) nennt man das – eine Steuer quasi fürs Frausein. Diese Zuzahlung auf Produkte für Frauen zieht sich durch viele Bereiche der Kosmetik, aber auch andere Artikel, die eben identisch mit dem „normalen“ bzw. „Männerprodukt“ sind. Bescheuert, oder? Aber es verkauft sich. Durch das Gendermarketing können Firmen ihre Artikel doppelt vermarkten und erreichen dadurch mehr Absatz. Wenn man sich als Paar oder Familie eine Dose Rasierschaum teilen würde, wäre ja schließlich weniger Verkauf. Ganz einfach. Natürlich kosten die zahlreichen Kosmetikprodukte viel Geld. Mädels, die sich schon früh Make Up, Beautyprodukte und hippe Klamotten leisten konnten, bzw. ihre Eltern, kamen gut an. Und verdammt – alle Zeitschriften und Sendungen für Mädchen sind vollgestoft mit „Empfehlungen“ wie man seine Makel beheben könne oder sich möglichst vorteilhaft verpackt – natürlich um bei Jungs abzukommen, versteht sich. Es ist schwer da mitzuhalten, wenn man die Kleidung der älteren Geschwister aufträgt oder sich für ein günstigen Abdeckstift schon ein ganzes Taschengeld drauf geht. Es ist also auch eine Frage der sozialen Herkunft, wie weit man an diesen ganzen Rummel partizipieren kann. Und auch später ist es schwieriger für Frauen mit geringeren Einkommen, diesem Druck gerecht zu werden. „Schönheit“ hat also tatsächlich ihren Preis.

2. Zeit für Wichtigeres

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Ich möchte nicht wissen wie viel Zeit meines Lebens ich damit verschwendet habe, Augenbrauen zu zupfen, Beine zu rasieren oder andere Mängel zu beheben. Der weibliche Körper scheint eine ewige Baustelle gleich dem BER zu sein, die ebensoviel Kohle verschlingt das Großprojekt. Nun wagen wir mal das Gedankenspiel, dass man diesen ganzen Quatsch nicht mehr machen müsste. Wie viele Bücher hätte ich wohl mehr lesen können? Meine Oma anrufen oder mehr Zeit für soziales Engagement aufbringen können, als diese kurzweiligen Erfolge gegen meine Körper zu haben?

Sorgearbeit von Frauen scheint nie zu Ende. Sie kümmern sich oft beruflich um andere, privat kümmern sich um den Haushalt, sind meist die, die sich um die zwischenmenschlichen Beziehungen sorgen und letztendlich auch um ihren Körper. Alle diese Sorgen machen einen krank, denn es ist Stress. Stress ist aber übrigens auch scheiße fürs Aussehen, da er einen schneller altern lässt. Es hört also einfach nicht auf…

Und ja, die Sorge um den Körper kann krankhaft werden, Essstörungen sind nur eines der bekanntesten Auswüchse. Die Angst, abgelehnt zu werden auf Grund von Äußerlichkeiten ist für viele Frauen aber eine alltägliche Begleiterscheinung. Die Angst, weniger liebenswürdig zu sein, weil vermittelt wird, dass diese von der eigenen Attraktivität abhängt. Ein trauriger Gedanke, wenn man mich fragt. Jungen Frauen sollte beigebracht werden, dass es viel mehr gibt, was an ihnen liebenswert ist. Und jungen Männern, dass sie aufhören müssen, Frauen als Objekte zu betrachten. Beides sind natürlich Extreme, die (so hoffe ich) nicht mehr alzu oft vorkommen, außer vielleicht in Gangster-Rap-Videos.

3. Kontrolle über den weiblichen Körper

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Weibliche (aber natürlich auch in anderer Weise männliche) Körper unterliegen einer starken Normierung. Einer Idealvorstellung, wie sie oder er aussehen sollte. Nicht zu groß, super schlank, je nach Geschmack noch ein paar Kurven. Keine Haare an falschen Stellen, Falten oder andere Abweichungen. Von körperlichen Beeinträchtigungen gar nicht erst zu sprechen. Dieses Korsett an Normen gab es schon immer. Vorgaben, wie Menschen „normalerweise“ auszusehen haben. Abweichungen werden bestraft – nicht im juristischen Sinne, sondern mit Verachtung, Ausgrenzung bis hin zu psychischer und physischer Gewalt. All das habe ich erlebt und kenne ich aus Berichten vieler Frauen. Und ja, diese Normen wirken sich wie eine Kontrolle über die Körper der Frauen aus, denn sie können nirgendswo hingehen, wo ihnen ihr Mangel nicht vor Augen geführt wird, es sei denn die komplette Isolation. Sie brennen sich in die Körper der Menschen. Die Individualität wird zur Norm angepasst und das auf vermeidlich freiwilliger Basis. Aber die Abweichung ist schmerzhaft.

4. Verdammt nochmal – hört auf, Frauen ständig einzuredenden, dass sie sich für Natürlichkeit schämen müssen

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Es fängt schon an, wenn ein Kind als „etwas pummelich“, „burschikos“ oder dergleichen bezeichnet wird. Bei Mädchen ist es noch einmal stärker als bei Jungs. Ich erinnere mich noch an das Wippespielen, wo vermeidlich dicke Mädchen gar keine Lust mehr drauf hatten, aus Scham – und das in der Grundschule. Ich habe mit Kindern gearbeitet aus verschiedenen Kulturkreisen, und sehe immer wieder wie bereits junge Mädchen verinnerlicht haben, dass „Hübschsein“ ein sehr wichtiges Gut ist. Hier muss etwas getan werden, auf diversen Ebenen. Und ja, das betrifft nicht nur die Mädels. Ich habe auch keine Lust mehr auf Sprüche wie „Jungs heulen nicht“ oder „damit siehst du schwul aus“. Hört auf Kindern zu vermitteln, dass Jungs so und Mädchen so aussehen müssen. Der Druck, der auf Kindern lastet, muss nicht durch künstliche Erwartungshaltungen verstärkt werden. Wenn ein Mensch sich von selbst so entwickelt, bitte, aber lasst Kinder Kinder sein, lasst ihnen ihre Natürlichkeit. Ein Mädchen mit wildem Haar, ein Junge der mal rosa trägt völlig egal. Es wichtig das sie lernen ihren Körper so zu lieben und akzeptieren wie er ist. Sie haben nur den einen und ich wäre als Mutter tot traurig wenn mein Kind sich für diesen Körper schämen würde. Wenn ich mir etwas wünschen könnte wär e es das sie von diesem ganzen Quatsch verschohnt beleiben und sich ausprobieren können und frei entwickeln können ohne Angst vor Ablehnung haben zu müssen. Dazu bedarf es umdenken in der Gesellschaft, in der Bildung, den Medien und bei jedem einzelnen von uns. Ich glaube jede*r hat schon mal den Körper eines anderen Menschen kommentiert. Vielleicht hilft es ja sich zu überlegen wie dieser Mensch sich fühlt wenn er/sie das in streo mehrfach hört und ob man dann noch stark sein könnte. Geht mich dieser Mensch und sein Körper überhaupt etwas an?

Wir kennen die Umstände nicht in dennen die meisten Menschen sind, und wir urteilen dennoch so schnell. Weil es leicht ist. Es sind nicht nur die rasierten Beine, die ich zum selbstschutz habe. Es ist die Maske die ich mir jeden Tag anziehe um nicht negativ aufzufallen und die Kraft die all das kostet. Das ist die eigenlich haarige Angelegenheit, die entlich entfern werden sollte.

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